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Wie man einem Vogel ein Begräbnis bereitet.

Ich habe die Leiche vor dem Frühstück gesehen.

Ich saß auf der roten Bank am Fenster, einen heißen Teller mit Essen vor mir, und warf einen Blick auf das Vogelhäuschen.

Als ich meinen Blick wieder auf das Frühstück richtete, blieb mein Blick auf einer reglosen Gestalt unter dem Futterhäuschen hängen. Es lag mit dem Bauch nach oben, die Flügel an den Seiten gefaltet, steif wie ein Soldat. Ich schrie auf und rannte, um mich daneben zu knien.

Oder ihn. Eine Meise mit Kastanienrücken.

Kohlefarbene Flügel, eine gebrannte Siena-Weste, weiße Wirbel auf seinen Wangen, eine Krone aus Schwarz, ein Bauch aus gesprenkelter Baumwolle. Ich hob ihn sanft an, sein warmer Schatten blieb zurück und er rührte sich nicht. Ich drückte einen Finger auf sein Brustbein und hoffte, auch nur ein entferntes Klopfen zu spüren. Nichts.

Zwischen den Schlitzen seiner Augenlider sah ich glänzende schwarze Flecken, die an Ort und Stelle eingefroren waren. An seinem Schnabel klebte ein Samenkrümel. Seine rauchigen und schuppigen Zehen waren wie Miniaturfäuste mit rasiermesserscharfen Enden zusammengerollt.

Er war perfekt.

Eine weitere Kastanienmeise flog herein und landete auf den Birkenzweigen, die am Balkongeländer festgeschnallt waren. Piepsend, flatternd, vom Ast über die Reling zum Futterhäuschen hüpfend, den Kopf geneigt und herumschwenkend – auf der Suche nach jemandem, schien es.

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Ich hielt den Leichnam hoch und hielt ihn als Opfergabe in meine Hände.

Er ist hier, Ich sagte. Es tut mir leid. Er ist genau hier.

Sie bewegte und drehte sich ständig, wachsam, mit Seitenblicken. Und dann flog sie davon und ich weinte, weil ich weiß, wie es ist, den leblosen Körper eines geliebten Menschen zu sehen.

Ich trug ihn hinein und stand da, unsicher, was ich tun sollte. Sein Tod durchdrang mein ansonsten alltägliches Morgenritual, und jetzt konnte ich seinen Körper nicht in meinem Haus ablegen, mich wieder hinsetzen und essen, als wäre nichts passiert. Als wäre dieser Tod nur eine Pause zwischen den Bissen.

Ich wickelte ihn in ein Stück rotes Tuch, verzichtete auf Frühstück und Kaffee, schlüpfte in Sandalen und verließ das Haus.

Ich musste ihn auf dem Feld zur Ruhe legen.

Unterwegs krächzten die Ochsenfrösche ungesehen. Die Weißkronensperlinge, Trauertauben und Rotschulteramseln sangen ihre Lieder von den Bäumen. Während ich ging, sammelte ich Wildblumen, sein Körper war unter dem Tuch noch warm.

Ich war diesen gleichen Weg bereits zwei Jahre zuvor gegangen, mit einem kleinen Waldkaninchen in meinen Händen. Ich hätte sie überall hinlegen können, aber das Feld ruft immer mit weit geöffneten Armen, bereit, sowohl Leben als auch Tod zu umarmen.

Ich überquerte den Weg vom Bürgersteig zum Feld. Wir gingen an den Espen vorbei, die in einer Reihe standen und deren Äste mit blättrigen Windspielen behangen waren. Vorbei an den grünen Trieben, die spiralförmig aus überwuchertem Gras emporragten, den violetten Kleeköpfen, den gelben Wildblumen und der Strumpfbandnatter, die sich an meinen Füßen bewegte, bevor sie verschwand.

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Ich pflückte zwei große, herzförmige Blätter und ging tiefer in das Feld hinein. Ich blieb drei Meter von der Stelle entfernt stehen, wo ein Weißkronensperling singend auf einem Schilfrohr saß. Und dort klopfte er die Grashalme ab und legte die Meise auf ein Blatt. Die Wildblumen überwältigten seinen winzigen Körper, also riss ich die Blütenblätter einzeln heraus und verteilte sie über seinen Körper, einen Hauch von Lila.

Ich kannte dich nicht von den anderen Meisen, Ich habe mit dem leblosen Vogel gesprochen. Aber es war mir eine Freude, Dich auf meinem Balkon am Futterhäuschen zu haben. Ich beobachte, wie ihr alle nach Samen sucht, an Zweigen pickt, verschwindet und zurückkommt. Ich höre mir deine Lieder an.

Du hast mir Freude bereitet. Ich kannte dich nicht, aber jetzt kenne ich dich. Und du warst wichtig. Dein Leben war mir wichtig. Danke schön.

Ich zog eine durchsichtige Feder aus seinem Schwanz und steckte sie in meine Tasche. Danke Freund.

Ein letzter Blick auf seine Perfektion, eine Träne tropfte auf das Blatt, bevor ich ihn mit dem anderen Wedel bedeckte.

Ich hoffe, du ruhst dich jetzt aus.

Ich drehte mich um und ließ ihn dort zurück, in den Armen des Feldes, unter dem undurchsichtigen Sommerhimmel, im Chor von Wind und Spatzen.

Weil jeder eine Beerdigung verdient.

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